Kerstin Hack: Gebetshilfe aus dem Coaching
Beten ist nicht meine Leidenschaft. Es gibt Menschen, die beten leidenschaftlich gern. Sie verbringen mit Freude viel Zeit in der Stille, der Meditation und im Gespräch mit Gott.
Ich rede oft mit Gott. Fast immer, wenn ich gerade irgendwo unterwegs bin, fange ich ein Gespräch mit ihm an. Über das, was ich gerade sehe. Und alles, was mich sonst so bewegt. Wir sind Freunde. Gott und ich. Wir reden miteinander. Naja, oft rede ich mehr als er. Doch manchmal nehme ich auch wahr, was er mir sagen möchte. Oder erahne sein Lächeln und seine Berührung.
Dennoch: längere, konzentrierte Gebetszeiten fallen mir schwer. Das hat oft damit zu tun, dass mir viel durch den Kopf geht. Ich leite einen Verlag, schreibe selbst Bücher, halte Vorträge und begleite als Coach Menschen. Und baue nebenbei noch ein altes, 25 Meter langes Schiff zu einem Ort um, an dem Menschen Inspiration und Hilfe erfahren können.
Kaum sitze ich – was schon schwer genug ist – und will beten, fallen mir 10.000 Dinge ein: „Ich hätte der Person noch dies oder das sagen sollen.“ „Ob die Helferin am Schiff wohl daran denkt, dass sie erst gründlich saugen muss, bevor sie die Isolierung anbringen kann?“ „Wie kann ich nicht mehr benötigte Schiffsfenster verkaufen?“ Manchmal gelingt es mir, diese Fragen betend mit Gott zu besprechen. Oft jedoch schießen sie mir nur durchs Gehirn und lenken mich ab. Ein wildes Kätzchen zu erwischen wäre leichter, als meine Gedanken einzufangen. Es sprudelt und quirlt. Das ist die eine Herausforderung für mich, wenn ich in Ruhe beten möchte.
Die andere ist, dass mir Dinge durch den Kopf gehen, die mich bewegen – ohne dass ich sagen kann, warum. Da denke ich an eine Situation, die mich beschäftigt und kann gar nicht genau benennen, was mit mir los ist und was ich jetzt brauche. Das ist die zweite Herausforderung, wenn ich beten möchte.
Ich wäre nicht ich, wenn ich mir nicht zu helfen wüsste. Ich habe mich in der Werkzeugkiste, die ich fürs Coaching benutze, umgesehen und Werkzeuge entdeckt, die auch für meine Gebetspraxis hilfreich sind. Zwei von den vielen Ansätzen, die mein Gebetsleben bereichert haben, möchte ich hier vorstellen.
Kopf und Herz sortieren – mit den Schritten aus der Gewaltfreien Kommunikation
Ich bin Trainerin für Gewaltfreie Kommunikation, eine von dem jüdischen Psychologen Marshall Rosenberg entwickelte Haltung und Kommunikationsform, die Menschen hilft, tiefer miteinander in Verbindung zu kommen. Sie basiert auf vier einfachen Schritten, die helfen, Situationen zu klären und Verbindung zueinander aufzubauen: Beobachtung, Beschreibung der Gefühle, Bedürfnisse und einer konkreten Bitte. Wenn mein Kopf und Herz ein Kuddelmuddel ist, dann nutze ich die vier Schritte, um mich zu sortieren, zu erkennen, was ich will und brauche und dann klarer mit Gott reden zu können.
Ein Beispiel: Kürzlich habe ich im Maschinenraum meines Schiffes entdeckt, dass der Lack, der erst wenige Monate vorher angebracht worden war, auf einer Länge von über einem Meter wieder abgeplatzt war. Ich sah das und erlebte ein Wechselbad der Gefühle. Ich wusste gar nicht genau, was mit mir los war – auch dann nicht, als ich mit Gott darüber reden wollte. Also ging ich die vier Schritte durch.
Beobachtung: Ich habe entdeckt, dass der Lack abgeplatzt ist. Experten haben mir gesagt, dass Lack, wenn er gut angebracht ist, jahrelang hält. Wenn Lack abplatzt, dann hat man beim Anbringen in der Regel nicht dafür gesorgt, dass beim Lackieren die Fläche wirklich trocken war.
Gefühle: Ich bin traurig, dass eine Fachkraft, die ich teuer bezahlt habe, offensichtlich so schlechte Arbeit geleistet hat – und dass ich keinen Ersatz mehr bekommen kann – die Firma hat zwischenzeitlich Konkurs angemeldet. Und ich bin frustriert, dass ich mich, statt weiterarbeiten zu können, um Schadensbegrenzung kümmern und Zeit dafür verwenden muss. Und ich bin enttäuscht von einem Menschen, dem ich vertraut habe. Und sauer auf mich selbst, dass ich da zum Teil so naiv war.
Bedürfnisse: Ich brauche Trost. Das ist blöde gelaufen. Und auch wenn es „nur“ ein paar Stunden Arbeit sind, das zu sanieren, bin ich traurig. Und brauche Trost.
Meine Bitte: Vater, bitte schenke mir etwas, das mich tröstet.
Die vier Schritte haben mir geholfen, meine Gedanken klar zu sortieren. Und dann zu wissen – darum will ich meinen Gott bitten!
Das Gebet wurde übrigens erhört. An einem Wochenende kam ein Helfertrupp aus Stralsund und hat diese Stelle und einige andere gestrichen. Für mich war ihre Unterstützung ein echter Trost. Jetzt, wo ich darüber schreibe, fällt mir ein: Ich hätte Gott ja auch noch bitten können, mir einen Eimer Schiffslack (oder das Geld dafür) zu schenken. Das wäre auch echt toll – und ein echter Trost. Ich glaube, das hole ich gleich nach!
Die vier Schritte helfen mir, mich selbst besser zu verstehen – und manchmal auch Gott. Ich frage mich: Wie sieht diese oder jene Situation aus seiner Sicht aus? Etwa die oben beschriebene Situation.
Beobachtung: Ich vermute, Gott sieht einen handwerklichen Mangel. Und eine Bootsbauerin, die traurig ist.
Gefühle: Ich denke mal, Gott bedauert den Fehler auch. Und er spürt Erbarmen für mich und Liebe. Bedürfnis: Ich ahne, dass er mir gern Gutes tun und mich beschenken möchte.Bitte: Vielleicht ist seine Bitte, mich von ihm trösten und beschenken zu lassen.
In Bildern denken – Zürcher Ressourcenmodell
Wo will ich eigentlich hin? Jahrelang habe ich mir Ziele vorgenommen und dann auch für die Erreichung dieser Ziele gearbeitet und gebetet. Und tue es heute noch. Jeden Monat nehme ich mir am 1. Tag des Monats Zeit, um zu überlegen, was ich in diesem Monat tun und erreichen möchte. Wie viele Bücher sollen publiziert, wie viele Quadratmeter Schiff sollen renoviert, wie viele Menschen sollen inspiriert worden sein, wenn der Monat zu Ende ist. Solche Ziele – die man auch SMARTe Ziele nennt (für spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert) sind hilfreich. Zumindest bei Dingen, die man zählen und messen kann, bei eher technischen Zielen. Das Konzept der SMARTen Ziele wurde auch in der Industrie für Produktionsprozesse entwickelt und ist dafür auch gut geeignet.
Innere Veränderungsprozesse lassen sich so nicht wirklich gut voranbringen. Wenn ich mich innerlich verändern möchte, liebevoller, Jesus ähnlicher und dafür eine Vision entwickelt möchte, dann greife ich auf die Erkenntnisse der neueren Gehirnforschung zurück. Forscher haben herausgefunden, dass reine Kopfziele wie etwa „Ich will abnehmen!“ nur wenig motivierend sind. Mal ehrlich – das haben wir alle ja immer schon gewusst.
Genauer untersucht haben das die Forscher der Züricher Universität und haben aus den Ergebnissen ihrer Forschung das sogenannte Zürcher Ressourcenmodell – kurz ZRM – entwickelt. Es beschreibt, wie man Ziele so verinnerlichen kann, dass sie im Kopf und Bauch gut verankert sind und so die Chance steigt, dass man sie tatsächlich erreicht.
Die wichtigste Erkenntnis. Unser Gehirn denkt in Bildern. Wenn wir Veränderung sehen möchten, reicht kein abstrakter Vorsatz „Ich will xyz werden.“ Wir müssen die Veränderung, die wir erstreben, zuerst sehen. Innerlich, visionär, vor unseren Augen. „Alles, was an Großem in der Welt geschah, vollzog sich zuerst in der Phantasie eines Menschen“, sagt die berühmte Schriftstellerin Astrid Lindgren. Und sie wird es wissen – ihrer Phantasie sind Geschichten entsprungen, die unzähligen Menschen Mut gemacht haben, ein bisschen mehr wie Pipi Langstrumpf zu sein und den eigenen Weg zu gehen –egal was die anderen dazu sagen. Sie hat die Welt dadurch verändert. Zumindest meine.
Die Züricher Forscher empfehlen also ein Bild für den Veränderungswunsch zu wählen, das einen anspricht. Entweder ein Bild, das man im Kopf hat, oder eines, das man sich selbst wählt oder von Gott schenken lässt.
Das Bild wirkt oft schon von selbst. Ein Bild sagt dem Herzen und dem Gehirn mehr als tausend Worte. Den bekannten biblischen Text aus Johannes 1 „Am Anfang war das Wort“ könnte man auch genauso richtig mit „Am Anfang war das geistige Vermögen, die Vorstellungskraft“ übersetzen.
Man kann Bilder im Gebet aufgreifen. Statt etwa zu beten: „Herr mache mich zu einem Menschen, der liebevoller und netter ist.“ Hat man womöglich das Bild einer wärmenden Sonne vor Augen. Man kann sich das ausmalen und beten, dass Gott einen mehr und mehr zu jemandem macht, in dessen Nähe andere auftauen und sich aufwärmen können. Oder dessen Gegenwart ihnen ein kleines Lächeln aufs Gesicht zaubert. Ganz ohne Grund.
Dieses Bild kann man sich an die Wand hängen, aufs Handy oder den Computer tun oder auf irgend eine andere kreative Weise so in der eigenen Umgebung anbringen, dass man immer wieder daran erinnert wird. Das Gehirn sieht Sonne. Und erinnert sich „Ja, so will ich sein!“ Und hat sofort Ideen, wie das umgesetzt werden kann.
Noch wirkungsvoller wird das Bild, wenn man daraus ein Motto ableitet. Einen Satz, der das eigene Handeln beschreibt – ein sogenanntes Mottoziel. Das beschreibt, welches Verhalten man statt des bisherigen Verhaltens an den Tag legen will und kann! In der Gegenwart. Nicht erst in der Zukunft. Also eher „Ich lächle oft“ statt „Ich will in Zukunft mehr lächeln!“ Wenn ich auf diese Art und Weise mit einem Bild und einem Motto arbeite, begleiten sie mich oft eine längere Zeit – meist etwa drei Monate lang, bis sich das neue Verhalten in mir verwurzelt hat.
Ein Beispiel: Derzeit ist ein großer Wunsch von mir, dass mein geistliches Leben aufblüht und lebendiger wird. Ich habe mir dafür das Bild einer Gartenlandschaft gewählt. Während ich dies schreibe sitze ich im Gewächshaus der königlichen Gartenakademie in Berlin. Ein herrlicher Ort. Gepflegte Pflanzkübel, ordentlich angepflanzte Beete voller Vielfalt, die schon den Frühling erahnen lassen.
Meine Seele und mein geistliches Leben gleichen eher einem dieser großen amerikanischen Nationalparks mit viel Weite, mit vielen Quellen, manchen blühenden, aber auch manchen kargen Stellen.
Vor einer Weile habe ich einen Film gesehen, in der ein Nationalpark gezeigt wurde, der von zu vielen Rehen überweidet war. Die Vegetation und das Tier- und Pflanzenleben verkümmerte. Dann kam man auf die Idee, ein Rudel Wölfe in dem Park auszusetzen. Das Ergebnis war faszinierend: Die Rehe wurden zum Teil gefressen. Die anderen zogen sich aus den leicht erreichbaren Stellen zurück. Das abgeweidete Gras erholte sich. Dadurch konnte der Boden mehr Wasser speichern und so erholten sich auch die Bäume. Singvögel kehrten zurück. Andere Tiere auch: Biber, Kaninchen, Bären, Adler. Der ganze Naturpark blühte wieder auf. Das ist das Bild, das ich für das Aufblühen meiner Seele im Herzen habe. Und auf meinem Monitor. Es tut mir gut, an gute Bilder erinnert zu werden.
Mein Motto dazu: „Ich empfange das Leben!“ Das mag nicht spektakulär klingen. Und nicht so beeindruckend wie: „Ich werde um mein geistliches Leben zu fördern pro Woche vier Bibelverse auswendig lernen, 10 Kapitel in der Bibel lesen und vier Stunden beten. Doch für mich beschreibt dieser Satz „Ich empfange das Leben (von Gott)“ genau die Haltung, die ich einüben möchte. Empfangen. Nicht zu sehr selbst ackern, sondern vielmehr vertrauen, dass Gott den Park zum Blühen bringen will. Dass er – notfalls – auch ein paar Wölfe sendet, um die netten, aber zerstörerischen Rehe zu vertreiben. Mein Gott, der mein Leben zum Blühen bringt!
Ich greife das Bild und das Motto im Gebet auf. Formuliere aus den Bildern Anliegen: „Herr, du weißt, wo mein Herzensboden zertrampelt ist und Erholung braucht. Du weißt, welche Bequemlichkeiten (Rehe) letztlich zu Zerstörung geführt haben. Zeige es mir – und verjage sie mit mir. Du weißt, welches Leben in meinem Garten fehlt. Bring es zurück!“ Für mich ist es weit leichter, mit Bildern zu beten als nur mit abstrakten Begriffen etwa „Herr, lass mich an geistlicher Stärke und Heiligung wachsen.“
Für jemand anderen mag ein ganz Bild und ein ganz anderes Motto zum Tragen kommen. Vielleicht ist das aktive Pflegen des Gartens dran. Unkraut jäten. Alten Mustern an die Wurzel gehen. Oder stärkerer Fokus auf Ihn. Die Quelle des Lebens. Oder einfach Trinken. Sein Wort, seine Wahrheit aufnehmen. Immer neu und immer wieder. Du wirst andere Bilder – vielleicht aus der Technik oder Natur – und andere Mottos brauchen und wählen als ich. Je nachdem, was deine Veränderungssehnsucht ist, kannst du dein Bild wählen. Und mit einem Motto-Satz beschreiben, wie du handeln kannst. Etwa „Ich werfe Ballast ab.“ „Ich schmeiße Unkraut raus.“ „Ich pflege meinen Garten.“ Oder „Ich berge mich in Gottes Armen“ oder…oder. Und dann mit deinem Gott ins Gespräch kommen – und erleben, wie dein Bild und dein Veränderungstraum Wirklichkeit wird.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der Zeitschrift Joyce. Mit freundlicher Genehmigung.
Büchertipps zum Thema:
Quadros, die die beschriebenen Methoden Gewaltfreie Kommunikation und Ziele erreichen (ZRM) erklären gibt es im Down to Earth Verlag:
Kerstin Hack: Gewaltfreie Kommunikation. Einander von Herzen verstehen. Quadro, 5,00€.
Christoph Schalk: Ziele erreichen. Wie persönliche Veränderung wirklich gelingt. Quadro, 5,00€.
Diese Quadros und viele weitere erhältlich beim Down to Earth-Shop.
Das Video über die Wölfe ist hier zu finden.
Und Kerstins Schiffsgeschichten könnt ihr lesen unter www.kerstinhack.de
Zu den oben beschriebenen Methoden bietet Kerstin auch Seminare an: http://dte-training.de.
Das ist eine sehr hilfreiche Idee und Anleitung zum Beten! Danke!
Danke, das freut mich!