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The Lady: Eine Lektion in Bescheidenheit

800px-Suu-kyi-khawmu-campaign_2Als im Jahr 2012 Luc Bessons Film „The Lady“ in die Kinos kam, wurde eine außergewöhnliche Frau ins Rampenlicht gerückt. Jahrelang hatte Aung San Suu Kyi in Birma gekämpft und war zum Vorbild und Hoffnungsträger vieler geworden. Inzwischen ist sie, die lange als „Staatsgefährdung“ unter Hausarrest stand, Oppositionsführerin in ihrem Land.
Andrea Specht sprach mit dem Regisseur und der Hauptdarstellerin des Films und ist seither von der Freiheitskämpferin und dem Land fasziniert.

 

Gebraucht eure Freiheit, um unsere voranzutreiben!

Mythen ranken sich eigentlich um längst Vergangenes. Personen, die zum Mythos erhoben wurden, haben eines gemeinsam: Sie sind tot. Das schließt einen ernüchternden Abgleich mit der Realität aus, der den Goldanstrich bröckeln lassen könnte.

Doch da gibt es nun eine Frau, in einem weithin unbekannten asiatischen Land, die diesen Status aller Logik zum Trotz zeitlebens erlangt hat: Aung San Su Kyi, in Asien liebevoll „the lady“ genannt. Die inzwischen 69-jährige Freiheitskämpferin Birmas fristete Jahrzehnte lang ein Leben im Hausarrest. Ihre vollständige Abgeschiedenheit sowie der hohe Preis, den sie zahlte, trugen natürlich dazu bei, dass sie zur lebenden Legende wurde. Doch seit ihr Hausarrest 2010 aufgehoben wurde, erdet sich das Bild dieser so ungewöhnlichen Frau. Man kann ihr als Mensch begegnen. Und dem Mythos scheint das keinen Abbruch zu tun.

Der Regisseur Luc Besson hat in seinem Film „The Lady“ Aung San Suu Kyi porträtiert. Bis zum Ende der Dreharbeiten war es dem Filmteam unmöglich, Kontakt mit Suu Kyi aufzunehmen; sämtliches Wissen über sie wurde durch Recherchen zusammengetragen. Ohne sie zu je getroffen zu haben, entstand gezwungenermaßen eine Interpretation der „Lady“. Und dann, ganz unerwartet, erhält der Regisseur die Möglichkeit, sie doch noch persönlich zu treffen.

Spricht man Luc Besson auf diese Begegnung an, fehlen ihm, der sonst so beredt und lakonisch daherkommt, die Worte. Als er sie wiederfindet sagt er einfach: „Es ist unfassbar, dass sie wirklich existiert. Du denkst dir ständig, so eine Person muss doch fiktiv sein, wir denken uns das so aus. Wie könnte jemand so voll Liebe, Würde und Ehrlichkeit sein? Und dann triffst du sie – und sie ist tatsächlich real. Sogar mehr als das.“

Auf einen gestandenen Filmemacher, der seit 37 Jahren einen großen Erfolg nach dem anderen feiert, wirkt die Schlichtheit und Erhabenheit Aung San Suu Kyis mit Nachdruck: „Man kann sich in Gegenwart dieser Frau nur klein und dumm vorkommen. Sie strahlt dermaßen viel Güte, Freundlichkeit und Demut aus! Sie fürchtet sich vor nichts. Eine Begegnung mit ihr ist eine Lektion in Bescheidenheit. Wer sie kennenlernt, wird sich die nächsten fünf Jahre hüten, sich über irgendetwas zu beschweren.“

Wer ist diese bemerkenswerte Frau? Diese zierliche Lady, die bereits mit so großen Freiheitskämpfern wie Nelson Mandela, Mahatma Gandhi und Martin Luther King in eine Reihe gestellt wird – ihren eigenen Vorbildern.

Im Jahr 19Suu Kyi45 wird sie in Birma geboren, als sich die Kolonie mitten im Ringen um die nationale Unabhängigkeit von Großbritannien befindet. Suu Kyis Vater, der gefeierte Volksheld General Aung San, wird mit anderen Mitgliedern seiner Übergangsregierung ermordet. Suu Kyi ist gerade einmal zwei. Es folgen Jahre politischer Instabilität in Birma, bis sich 1962 das Militär an die Macht putscht und als Einparteienstaat mit eiserner Gewalt herrscht – jegliche Opposition wird unterbunden, das Volk erleidet Unterdrückung, Armut und Angst. Suu Kyi jedoch studiert mittlerweile in Oxford, wo sie ihren Mann kennenlernt und eine Familie gründet. Als es 1988 in der birmanischen Hauptstadt Rangun zu Protesten von Studenten kommt, die freiheitliche Rechte fordern, werden diese von der Militärjunta brutal niedergeschlagen.

Hier beginnt der Plot des Films „The Lady“: mit der Rückkehr Suu Kyis in ihr Heimatland, um sich um ihre schwerkranke Mutter zu kümmern. Sie gerät mitten hinein in die gewalttätigen Ausschreitungen des Militärs und ist zutiefst erschüttert. Bald schon treten Regimegegner an Suu Kyi heran und bitten sie, den Vorsitz der neu gegründeten Partei für ein demokratisches Birma zu übernehmen. Durch die Popularität und Aura ihres Vaters sei sie die geeignete Person, das birmanische Volk zu vereinen. Unversehens wird sie zur Symbolfigur des politischen Widerstands, der sich für die Freiheit und Rechte aller einsetzt. Sie führt einen unermüdlichen Wahlkampf für die Nationale Liga für Demokratie (NLD), der für sie und ihre Anhänger stets mit Gewalt und Lebensgefahr verbunden ist. Suu Kyi wird noch vor den Wahlen unter Hausarrest gestellt und ein Großteil der Parteimitglieder verhaftet. Dennoch gewinnt die NLD den Wahlkampf mit überwältigender Mehrheit. Doch die Junta erkennt das Ergebnis und ihre eigene Niederlage schlichtweg nicht an.

Suu Kyi, die als Opposition zu gefährlich wäre, bleibt isoliert in Hausarrest, abgeschnitten von der Außenwelt. Als Aung San Suu Kyi im Jahr 1991 der Friedensnobelpreis verliehen wird, als „außerordentliches Vorbild für die Macht der Machtlosen“, bedeutet das weit mehr als Ruhm und Ehre: Das Augenmerk der Weltöffentlichkeit richtet sich auf die Missstände in Birma. An der Preisverleihung in Oslo nimmt Suu Kyi nicht teil, aus Sorge, man würde ihr die Wiedereinreise nach Birma verweigern. Ginge sie, hätte sich für das Regime ein großes Problem von selbst gelöst. So verfolgt sie allein am Radio die Gala ihr zu Ehren im weit entfernten Europa. In der grandiosen filmischen Umsetzung, die vor Spannung, Feierlichkeit und quälender Einsamkeit fast zerspringt, um sich in ein Fanal von Musik, Tränen und Emotion zu verdichten, wird der Zuschauer unvermittelt in den Sog dieses Ausnahmemoments hineingezogen. An der oft prinzipientreu wirkenden Kämpferin offenbart sich ihre Zerbrechlichkeit und der immense Druck, der auf ihr lastet.

Der Hausarrest dauert an. Über Jahre und Jahrzehnte. Immer wieder wird er gelockert, um anschließend mit repressiver Willkür erneut verhängt zu werden. Ihre Familie wird systematisch von ihr abgeschottet und selbst als der Ehemann todkrank wird, verweigert ihm die birmanische Regierung das Visum. Sie stellt Suu Kyi vor die Wahl: Sie darf nach England ausreisen, kann dann aber nie wieder zurückkehren. Eine Zerreißprobe zwischen Liebe und einer höheren Pflicht, der sie sich verschrieben hat – in der sie sich im entscheidenden Moment uneigennützig entscheidet. Ihr Mann stirbt 1999, ohne, dass Suu Kyi ihn noch einmal gesehen hat. Es werden weitere elf lange Jahre vergehen, bis sie ihre beiden Söhne wiedersieht.

Woher nimmt diese Frau ihre Stärke, Entschlossenheit, ihren unerschütterlichen Mut? Michelle Yeoh, die sich als Hauptdarstellerin intensiv in das Gefühlsleben und die Motivation Aung San Suu Kyis hineinverse640px-Aung_San_Suu_Kyi_gives_speechsetzen musste, fehlte zunächst jeder Zugang. Sie erinnert sich: „Als Schauspieler versucht man, Verbindungen zum eigenen Leben zu finden, etwas, woran man anknüpfen kann. In dem Fall war mir das völlig unmöglich. Ich kann noch nachvollziehen, dass man sich ein Jahr lang unter solchen Bedingungen für etwas einsetzt – aber sie hat das 20 Jahre lang getragen! Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass diese Kraft aus der Liebe kommen muss, insbesondere aus der Liebe ihres Mannes.” Wenn die Schauspielerin über Suu Kyi spricht, spürt man, wie tief bewegt und ergriffen sie ist. Diese Rolle, die sie als die wichtigste ihres Lebens bezeichnet, hat sie merklich geprägt.

Auch für Luc Besson markiert „The Lady“ einen Einschnitt. „Ich habe das Drehbuch gelesen und geweint. Der Film findet dich, nicht du den Film. Ich wusste, dass ich ihn drehen muss“, sagt er. Und mit Sicherheit wird diese Geschichte auch an keinem, der das Kino verlässt, spurlos vorübergehen. Unmöglich. Zu Luc Bessons größter Freude und Dankbarkeit. Er ist begeistert, wenn er erzählt, wie Menschen aufgerüttelt werden durch den Film: Teenager, die plötzlich realisieren, wie viele Freiheiten sie genießen. Ein Vater, der nach dem Film nichts tun will, als seine Kinder in den Arm zu nehmen. Und Menschen, die sich von der Aufforderung Suu Kyis aktivieren lassen: „Gebraucht eure Freiheit, um unsere voranzutreiben!“ Das ist sein Anliegen.

Ebenso erzählt Michelle Yeoh von ihrer Begegnung mit Aung San Suu Kyi als einem der denkwürdigsten Momente ihres Lebens: „Ich wurde davor gewarnt, meine „Heldin“ zu treffen, weil ich sicherlich enttäuscht sein würde. Aber ich musste einfach selbst sehen, wie real, wie gut und inspirierend diese Frau ist. Und ich wurde nicht enttäuscht! Sie ist alles, was ich über sie recherchiert hatte! Sie ist sehr ehrlich und direkt. So zierlich und doch so voller Energie – einer Energie, die aus der Ruhe kommt. Man fühlt sich einfach nur wohl in ihrer Gegenwart.“

Suu Kyi bei der verspäteten Nobelpreisrede 2012 (c) Nobel Media AB 2012

Es erstaunt, welch Charisma diese Frau ausstrahlen muss. Ihr Mythos scheint sich zu verwandeln in ein Symbol des Friedens, das durch und durch menschlich ist. Aber natürlich erhebt die Verfilmung Suu Kyi zur Ikone. Michelle Yeoh ist sich dessen bewusst: „ Aung San Suu Kyi könnte sich im Leben nicht vorstellen, wie es überhaupt jemanden interessieren könnte, einen zweistündigen Film über sie anzuschauen. Sie wäre viel zu bescheiden, um „The Lady“ als einen Film über sich zu bezeichnen. Und zweifellos gibt es diese riesige Bewegung um sie herum. So etwas kann niemand allein in Gang bringen. Aber wir sind uns bewusst, wie wichtig Ikonen heutzutage sind, mit Hilfe derer wir am verständlichsten unser Anliegen weitergeben können.“

Aung San Suu Kyi wurde am 13. November 2010 aus ihrem fast 20-jährigen Hausarrest entlassen; eine Woche, nachdem die ersten Wahlen seit 1990 stattfanden. Da die NLP und Aung Sun Suu Kyis von den Wahlen ausgeschlossen wurden, gab es heftige Kritik um die neue Regierungsbildung. Aung San Suu Kyi gab bei ihrer Freilassung bekannt, dass sie der Regierung die Hand reichen wolle. Ihre versöhnliche Haltung – frei von Anklage und Vergeltung – machte die Annäherung möglich. Ihr Einzug in die Regierung war nur eine Frage der Zeit: Am 1. April 2012 kandidierte die NLD für Nachwahlen und gewann 43 Sitze. Suu Kyi zog als Oppositionsführerin ins Parlament ein.

Am 16. Juni 2012 hielt Aung San Suu Kyi die 21 Jahre verspätete Nobelpreis-Dankesrede in Oslo.

Leicht veränderte und aktualisierte Fassung eines Artikels, der zuerst in der Zeitschrift dran 3/2012 erschien. Mit freundlicher Genehmigung.

 

Buchtipp:

I-62_W6_Aung-San-Suu-KyiAung San Suu Kyi. Eine, die entschlossen durchhielt von Andrea Specht. Impulsheft, 2,50€. Direkt erhältlich im Down to Earth-Verlag.

 

 

 

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