Kerstin Hack: Ein Ja zu mir finden – 7 Schritte zu mehr Lebensfreude

Immer wieder höre ich, dass einer zum anderen sagt: „Du musst dich nur selbst annehmen!“ Mich ärgert das, weil dies dem anderen unterstellt: „Du machst es falsch. Du musst dich nur annehmen.“ Doch das ist das Gegenteil von Annahme. Ich gehe davon aus: Wenn das mit der Annahme so einfach wäre, hätte der betreffende Mensch das schon längst getan. Deshalb möchte ich hier ein paar Ideen vermitteln, die bei diesem Prozess der Selbstannahme helfen können.

1.       Entdecke, was du schon an dir magst

Mir ist noch niemand begegnet, der sich zu 100 % ablehnt. Die meisten Menschen erleben eine Mischung: Da gibt es Sachen, die sie an sich mögen, andere Aspekte, die akzeptabel sind, und einige Bereiche, mit denen sie sich schwertun.

Mir hat Gott wunderschöne Augen geschenkt – grüngrau und geheimnisvoll. Die mag ich. Wie jeder Mensch habe ich auch Ohren – eines davon liegt an, das andere steht ab. Das mag vielleicht originell sein – schön finde ich es nicht. Die Versuche meiner Mutter, es mit Pflaster festzukleben, haben auch nichts genützt. Bei meinen Ohren war innere Arbeit nötig, um „ja“ zu sagen.

Du hast sicher Bereiche, die einzigartig und einmalig sind und die du magst: (Teile des) Aussehens, Talente, liebe Menschen, spannende Erfahrungen. Du kannst einiges, was nicht jeder kann, und hast Möglichkeiten, die nicht allen Menschen offenstehen. Was ist das bei dir konkret?

2.       Erkenne: Das bin ich – das bin ich nicht

Wer alles sein will – Popstar, Weltretter, Familienmutter oder Fürsorgerin – wird nie Frieden finden. Unser Leben ist begrenzt. Die tiefe Annahme unserer selbst werden wir nur erfahren, wenn wir unsere Grenzen erkennen: „Das kann ich, das kann ich nicht. Das bin ich, das bin ich nicht.“ Und sie annehmen: „Ich nehme an, was ist.“ Das Johannes-Evangelium ist berühmt für die „Ich bin-Worte“ von Jesus. Hier definiert er: „Das bin ich: Brot des Lebens, Weinstock, das Wasser des Lebens …“ Er definiert auch, was er nicht ist: „Mein Job ist es nicht, für die Gesunden da zu sein, sondern für die Kranken.“

Der Dialog mit anderen hilft, unsere blinden Flecken zu beseitigen. Menschen, die ehrlich sagen: „Das kannst du besonders gut.“ Um solche Rückmeldung kannst du konkret bitten: „Wie siehst du mich?“

3.       Verändere, was du verändern kannst

„Ich bin halt so – so schmächtig, so schüchtern, so dick, so unbegabt.“ Das sagen manche Menschen. Doch es stimmt nur zum Teil. Viele Aspekte sind veränderbar. Etwas anzunehmen, mit dem man nicht glücklich ist, obwohl es veränderbar ist, wäre nicht klug.

Ein Freund von mir hat leichte motorische Defizite. Das erschwerte es ihm, Autofahren zu lernen. Es war ihm jedoch wichtig – und nach drei Jahren hat er es geschafft! Ein Bekannter hat mit Training seine Sprachdefizite behoben. Jetzt moderiert er Filme! Wie tragisch wäre es gewesen, wenn beide gesagt hätten: „Das kann ich nicht – das muss ich eben annehmen.“

Nicht jeder hat so viel Energie. Man kann auch nicht alles verändern. Es ist hilfreich, die zwei oder drei Veränderungen anzugehen (nicht mehr!), von denen man sich die größte Verbesserung der Lebensqualität verspricht. Sich selbst plötzlich umfassend anzunehmen, ist unmöglich. Unser Ich und unser Leben bestehen aus vielen Facetten. Dazu gehören unsere Familie, unserer Begabungen, unsere Herkunft und Erfahrungen und vieles mehr. Als Frau beschäftigen mich andere Aspekte, als wenn ich ein Mann wäre.

4.       So wie es jetzt ist, ist es gut!

Im Hohelied besingt ein Paar die Schönheit des Partners. Diese Texte werden auch als Ausdruck der Liebe Gottes zu uns Menschen gedeutet. Im 4. Kapitel sagt der Mann zu der Frau: „Du bist schön, kein Makel ist an dir!“ Wie kann ein Mensch das über einen anderen sagen? Und erst recht Gott über uns? Er sieht doch alle unsere Schwächen und Fehler. Eine Erklärung fand ich in unserer Liebe zu Babys. Sie machen in die Windeln und schreien lauthals. Wir finden sie wunderbar und sagen: „Kein Makel ist an dir.“ Wir berücksichtigen, in welcher Entwicklungsphase sie stehen. Ich glaube, dass Gott uns genauso sieht. Er weiß, wo wir jetzt stehen und wie wir uns bis jetzt entwickelt haben. Und sagt: „Kein Makel ist an dir!“ Da ist natürlich Raum für Wachstum. Aber für jetzt ist es gut.

5.       Entlarve „Ich bin gut, wenn …- Sätze”

Eltern vermitteln ihren Kindern oft unbewusst Botschaften wie: „Du bist gut, wenn du brav deinen Teller leer isst!“ „Du bist lieb und geliebt, wenn du artig und still bist!“ Anders formuliert: „Wenn du dich so verhältst, wie ich es dir sage, dann nehme ich dich an.“ Weil jeder Mensch das Bedürfnis hat, angenommen zu sein, beugt er sich diesen Sätzen, ohne sie zu hinterfragen. Oft ein Leben lang. Viele Frauen spielen selbst noch als Erwachsene die Rolle des lieben Mädchens: Sie machen alles für alle anderen – und treten kaum für sich selbst ein. Wenn sie eigene Interessen zeigen und souverän als erwachsene Frau agieren, fühlen sie sich schlecht. Sie haben noch immer Angst vor Ablehnung – so tief sitzen die alten Sätze: „Du bist nur gut, wenn …“

6.       Für sich selbst leben

Menschen, die sich mit Selbstannahme schwertun, leben oft auf andere hin orientiert. Sie geben viel. Wenn andere positiv reagieren, tut ihnen das einen Moment lang gut. Es ist, als ob der Selbstannahme-Tank gefüllt wird. Problematisch ist es nur, wenn es Löcher im Tank gibt, die durch Selbstablehnung entstanden sind. Dann fließt die Wertschätzung der anderen quasi durch einen durch – der innere Tank bleibt trotzdem leer. Die andere Variante der Außenorientierung ist der Selbstschutz. Man ist voll Sorge, dass andere Menschen negativ reagieren könnten und beugt vor. Etwa, indem man das vermeidet, was sie stören könnte. Oder indem man sich schlecht macht – damit die anderen es nicht tun. Oder verbirgt, was einen selbst bewegt – bis man es selbst gar nicht mehr spürt.

7.       Die Kraft des Segens entdecken

Wir hören oft negative Worte – von anderen und von uns selbst: „Was bist du für ein Idiot!“ „Wie kannst du nur so dumm sein!“ Das ist, als ob man Gift auf die Pflanzen gießt. Wir brauchen kein Gift. Wir brauchen lebensspendendes Wasser.

Die biblischen Priester hatten den Auftrag, Menschen den Segen Gottes zuzusprechen: „Der Herr segne und behüte dich, er lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig.“ Modern formuliert: „Du bist kostbar. Du bist es wert, beschützt zu werden. Gott sieht dich an – und strahlt vor Freude.“ Warum gibt es in der jüdischen Kultur so viele starke und einflussreiche Frauen? Juden sprechen jeden Sabbat über ihren Frauen den Segen aus Sprüche 31 aus. Da wird eine Frau gelobt und gepriesen, die ihr Leben lebt. Ich kann nur ahnen, wie sehr das eine Frau stärkt, wenn sie dies Woche für Woche hört.

Wir brauchen Worte des Segens – wertschätzende und tröstende Worte, die wir von Menschen zugesprochen bekommen. Und Worte Gottes, die er zu unserem Herzen spricht.

 

Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der Zeitschrift Joyce 03/2013, www.joycenet.de. Mit freundlicher Genehmigung.

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Headerbild: Cynthia Magana

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