Von mir zu dir – gewaltfrei kommunizieren
Wer kennt das nicht – ein Missverständnis, eine vorschnelle Interpretation einer Situation, man fühlt sich angegriffen, verteidigt sich und schon brennt die Luft. Oder zumindest breiten sich spürbar Verstimmung und Anklage im Raum aus. Wer sich übt im gewaltfreien Kommunizieren, kann verfahrene Situationen schnell deeskalieren. Man bietet Brücken der Verständigung an und schafft zusätzlich eine vertiefte Verbindung.
Vier einfache Schritte zu sich selbst und zum anderen bilden die Basis der Gewaltfreien Kommunikation: Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis, Bitte. Die vier Schritte geht man zuerst innerlich für sich selbst – die sogenannte “Selbsteinfühlung”. Dann erst innerlich oder kommunikativ mit dem anderen.
Beobachtung
Der erste Schritt ist die reine Beobachtung. Hier geht es darum, lediglich zu beschreiben, was geschehen ist – ohne Bewertung der Handlungen des anderen. Es kann dabei helfen, sich vorzustellen, man würde die Szene noch einmal filmen wollen und müsste eine Anleitung für den Regisseur schreiben. Das ist gar nicht so einfach. Häufig schwingen starke Gefühle und Bewertungen mit, die das neutrale Beschreiben erschweren. Nur die Fakten zu beschreiben entlastet und ist der erste Schritt zu guter Kommunikation.
Ein Beispiel: Ich sprach in einem Café mit einer Freundin. Ihr kleines Kind lief zwischen den Tischen auf und ab. Eine Frau stand auf und sagte: „Sie sollten besser auf ihr Kind aufpassen. Es hat mich mehrfach angefasst!“ Das war die neutrale Beschreibung. Bevor ich das innerlich mit Hilfe der GfK geklärt hatte, klang das so: „Wir haben uns ganz normal unterhalten. Da stand die Tussi vom Nachbartisch auf, baute sich vor uns auf und meckerte uns an, wir sollten besser auf unser Kind aufpassen.“
Gefühle benennen
Hat man eine Situation klar beschrieben, besteht der nächste Schritt darin, die eigenen Gefühle zu benennen. Ja, wie genau ging es mir denn mit der Situation? Was habe ich dabei empfunden? Viele Menschen sind gut darin, die Handlungen anderer zu beschreiben, aber können weniger gut benennen, was sie selbst bewegt. Das trifft auch, aber nicht nur auf Menschen zu, die viel meckern und klagen. Offensichtlich bewegt sie etwas, aber sie beschreiben das Verhalten der anderen, nicht wie sie sich selbst dabei fühlen: „Immer muss er den Wasserhahn laufen lassen!“ „Nie hört sie mir zu!“ Wenn man sie fragt: „Bist du darüber irritiert? Oder bist du traurig?“, sind sie oft sprachlos. Sie haben es nicht gelernt, ihre Gefühle zu spüren und zu benennen. Doch das kann man lernen. Gefühle zu benennen kann dem Gespräch eine Wendung geben.
Bedürfnis
Gefühle sind jedoch nicht das Entscheidende. Sie sind lediglich Wegweiser auf der Spur nach unseren Bedürfnissen. Hinter jedem Gefühl steckt ein Bedürfnis. Gefühle zeigen – ähnlich wie ein Thermometer – ob das Leben sich im „warmen“ oder „kalten“ Bereich befindet. In anderen Worte: Ob Bedürfnisse erfüllt sind oder nicht. „Gute“, angenehme Gefühle signalisieren: Ein wichtiges Bedürfnis ist erfüllt. Gefühle, die unangenehm sind, signalisieren: Ein Bedürfnis ist nicht erfüllt. Wenn man hinter den Gefühlen die Bedürfnisse erkennt, kann man handeln.
Bitten
Hat man erkannt, welche Bedürfnisse hinter den Gefühlen stehen, kann man dafür Sorge tragen, dass das Bedürfnis erfüllt wird – indem man eine Bitte formuliert: an sich selbst, an Gott, an einen anderen Menschen.
Die meisten Menschen helfen gern, wenn man klare Bitten an sie richtet. Sie sind froh, wenn sie konkret wissen, was sie tun können, damit es uns besser geht. Es kann auch sein, dass jemand die Erfüllung einer Bitte ablehnt – das ist sein gutes Recht. Dann haben wir immer noch die Möglichkeit, uns selbst oder Gott zu bitten. Es gibt immer eine Vielzahl von Möglichkeiten, ein Bedürfnis zu erfüllen.
Es ist eine Binsenweisheit: Nur wenn man bei sich und mit sich im Reinen ist, kann man dem anderen wahrhaftig begegnen. Deswegen ist der Prozess der Selbsteinfühlung und Selbstklärung mit Hilfe der vier Schritte so wichtig. Das läuft innerlich im Stillen ab. Wenn man darin geübt ist, kann man innerhalb von einigen Momenten Klarheit über die Situation, die eigenen Gefühle, Bedürfnisse und mögliche Bitten gewinnen.
So schafft man Verbindung, geht den Weg „von mir zu dir“ und begegnet sich auf einer vertieften Ebene. Denn wirkliches Verstehen der Bedürfnisse des anderen – und von einem selbst – schafft Nähe.
Der Text ist ein gekürzter Auszug aus dem Quadro von Kerstin Hack: Gewaltfreie Kommunikation. Einander von Herzen verstehen. Erhältlich im Down to Earth-Verlag, 5,00€.