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Kerstin Hack: Fastenzeit – Sterben auf Probe

Auch wenn die Fastenzeit schon begonnen hat, lädt sie weiterhin dazu ein, über Freiheit und Verzicht nachzudenken. Vielleicht auch einmal für eine Woche liebgewordene Gewohnheiten bleiben zu lassen. Auf etwas zu verzichten, bringt immer Veränderung mit sich. Jede Veränderung ist ein bisschen wie Sterben. Und „Sterben will gelernt sein“ wie ein Buchtitel sagt. Etwas Vertrautes aufgeben –selbst wenn es nur eine schlechte Gewohnheit ist, kann herausfordernd sein.
Das Kirchenjahr lädt uns deshalb jedes Jahr zum „Sterben auf Probe“ ein. In der Fastenzeit werden wir an das Sterben Jesu erinnert und selbst zu einem „kleinen Sterben“ eingeladen. Traditionell wurde in der Fastenzeit auf bestimmte Speisen oder auch auf Alkohol verzichtet – weil das über Jahrhunderte hinweg einer der Wege war, wie man sich mit dem Leiden und Sterben Jesu identifizieren konnte. Ganzer oder teilweiser Verzicht auf bestimmte Speisen und Getränke ist nach wie vor eine gute Möglichkeit, Körper und Seele zu entschlacken und zur Besinnung zu verhelfen.
Doch Fasten kann über den Nahrungsverzicht hinausgehen. „40 Tage ohne…“ nennt es eine kirchliche Aktion. Hier geht es nicht nur um den Verzicht, sondern auch darum, die neue Freiheit zu entdecken, die in dem „ohne“ steckt.

In Coaching-Gesprächen erfahre ich oft, wie hilfreich kleine Schritte sind. Sich eine Pause von einem bestimmten Verhaltensmuster zu gönnen. Eine Pause kann man leichter einhalten, als eine Veränderung für immer. Auch wenn es noch (!) kaum möglich scheint, das Muster für immer abzulegen – eine kleine Pause ist oft denkbar.
In der Pause kann man –probehalber – so tun, als wäre man bereits anders. So als ob man Verhaltensmuster schon abgelegt hätte. So tun als ob das innere Heißhungermonster schon besiegt wäre und man selbst ein aktiver, ernährungsbewusster, sportlicher Mensch, der gute Gedanken über sich denkt. Das muss ja noch gar nicht dauerhaft so sein – nur mal 40 Tage so tun als ob. Als ob das, was man verändern und besiegen will, schon erledigt wäre. Und niemand verbietet einem ja, an eine Pause die nächste dranzuhängen. Und dann die übernächste. Vielleicht wird daraus ja eine Verhaltensänderung für immer.
In meiner Herkunftsfamilie gab es keine bestimmten Traditionen für die Fastenzeit oder Ostern. Noch nicht mal das Ostereiersuchen hat sich bei uns durchgesetzt. Also habe ich als erwachsene Frau für mich eigene Formen entwickelt oder adaptiert, um die Fastenzeit zu nutzen. Mir ist dabei der Gedanke des „Sterbens auf Probe“ sehr hilfreich. Dieses „Sterben“ kann auf drei Ebenen geschehen:

Verzicht auf Nahrung
Das sind in der Fastenzeit die „Klassiker“. Verzicht auf bestimmte Getränke, Alkohol, Naschsachen, Fleisch, Süßspeisen usw. Gerade für Menschen, denen es schwer fällt, ihr Essverhalten zu kontrollieren, kann der Verzicht für eine Weile ein guter Einstieg in ein neues Lebensmuster sein.
Ich erlebe auch Vollfasten – also den kompletten Verzicht auf Nahrung bei ausreichend Flüssigkeitszufuhr als sehr belebend. Wenn erst einmal die Hungerphase vorbei ist, wird der Kopf klarer, die Seele empfindsamer, ich spüre mein Herz mehr als in „gut gefüllten“ Phasen. Es ist durch die ausgefallenen Mahlzeiten mehr Zeit und es fällt mir durch die gesteigerte Empfindsamkeit oft leichter, Gott zu begegnen. Die Empfindsamkeit hat auch ihre Nachteile: In besonders stressigen Lebensphasen ist es wenig sinnvoll, die Empfindsamkeit noch weiter zu steigern – da könnte dann Überlastung die Folge sein.
Hier und bei allen anderen Formen des Verzichts, kann es gut sein, zu überlegen, was man statt dessen tun oder zu sich nehmen will: Statt Schokolade Gemüsesticks. Statt Alkohol Wasser. Statt Nachmittagskuchen ein Spaziergang.

Ein paar Ideen für Nahrungsverzicht
•    Zwischendurch naschen
•    Abends nach …. Uhr noch essen
•    Nebenbei essen, statt bewusst
•    Kalorienreiches Essen
•    Süßigkeiten und / oder Süßspeisen
•    Fleisch
•    Nikotin, Alkohol und / oder aufputschende Getränke
•    ….

Verhaltensmuster
An viele Dinge haben wir uns gewöhnt. Und das ist auch gut so. Gewohnheiten machen uns das Leben leichter. Wir wissen, wie es geht. Und machen es so. Immer und immer wieder. Doch manchmal können Gewohnheiten auch zum Gefängnis werden. Anstatt dass wir die Gewohnheiten prägen und gestalten, haben sie uns im Griff – wir können nicht mehr anders. Es gibt viele Verhaltensmuster, die uns eher schaden als nützen. Die Fastenzeit kann eine gute Möglichkeit sein, auf liebgewonnene oder einfach träge Gewohnheiten zu verzichten – wenigstens eine Weile lang.
Auch hier ist es sinnvoll zu überlegen: Was mache ich stattdessen? Nur zu sagen: „Ich verzichte aufs Fernsehen oder Surfen“ bringt in der Regel nicht viel, wenn es keinen konkreten Plan dafür gibt, wie die Zeit anderweitig gefüllt werden kann z. B. mit Begegnung mit Freunden, einem guten Buch, der lang aufgeschobenen Steuererklärung oder Reparaturarbeiten in der Wohnung…oder einem entspannenden Bad – was auch immer am besten passt.

Ein paar Ideen für Verhaltens-Verzicht
•    Träge sein und auf dem Sofa hängen
•    Ohne Pausen arbeiten
•    Erwarten, dass andere die Initiative ergreifen
•    Knausrig mit sich selbst sein und sich nichts gönnen
•    Sich dauernd etwas gönnen – zu viel Geld ausgeben.
•    Häufige Mediennutzung: Internet, Fernsehen, Handy…
•    Sich ablenken lassen / von einem zum Nächsten springen
•    Aufschieben, z. B. Zeug auf Stapel packen, statt es gleich wegzuräumen
•    Tratschen, jammern, meckern.
•    …

Verzicht auf Denkmuster
Jetzt wird es ganz herausfordernd. Mal probeweise bestimmte Denkmuster ablegen. Mal anders denken – geht das? Kommen Gedanken nicht von allein? Im Winter 2012 habe ich überlegt und gebetet, wie ich die kommende Fastenzeit gestalten will und worauf ich verzichten möchte. Mitten im Gebet kam mir der Gedanke: „Faste vom Zweifeln!“ Wie bitte!? Nach dem ersten Stutzen fand ich die Idee zunehmend charmant. 40 Tage ohne Zweifeln – mal nicht an Gottes Macht und Güte zweifeln. Mal nicht daran zu zweifeln, dass ich auch noch drankomme – nicht immer nur die anderen. Mal nicht an mir selbst zweifeln.
Es wurde eine sehr spannende Zeit. Immer wenn ich mich bei zweifelnden Gedanken erwischte – und sie kamen natürlich – habe ich mich daran erinnert, dass ich vom Zweifeln faste. Das half. Und so habe ich – mitten in dieser Fastenzeit – etwas Großes gewagt. Ich habe mir ein altes Schiff gekauft, um es zu einem Seminar – und Schulungsort umzubauen, wo ich leben kann und Menschen Inspiration und Hilfe schenken kann. Trotz aller Schwierigkeiten weiß ich: Es hat sich gelohnt. Und der Verzicht auf den Zweifel hat mir den nötigen Mut gegeben, das Riesenprojekt mit meinem Gott zu wagen.

Ein paar Ideen zum Denkmuster-Verzicht
•    Selbstmitleid
•    Sich minderwertig fühlen
•    Pessimistisch sein
•    Sorgen machen
•    Neid
•    Jemandem etwas nachtragen
•    Sich selbst in Gedanken abwerten
•    Sich verpflichtet fühlen
•    Nicht nein sagen können
•    …

Auferstehung in die Freiheit
Die Bibel betont, dass wir mit Christus gestorben sind – und mit ihm zu neuem Leben auferstehen. Die Fastenzeit und das „Sterben auf Probe“ kann der Beginn von neuem Leben sein. Der Beginn von mehr Freiheit. Manches will man vielleicht für immer hinter sich lassen – die Zweifel haben mich nicht ganz verlassen – aber seit dem Zweifel-Fasten weiß ich viel tiefer: Ich kann die Zweifel auch ablegen. Das blieb mir erhalten.
Andere Ess- oder Verhaltensmuster greift man vielleicht wieder auf – aber mit mehr Freiheit. Die Freiheit des „Ich kann – aber ich muss nicht!“ „Ich kann jeden Nachmittag ein Stück Kuchen essen – aber ich muss es nicht tun!“ „Ich kann stundenlang vor dem Computer sitzen – aber ich bin auch frei, die Zeit anders zu gestalten.“
So wie die Fastenzeit ein Stück „Sterben auf Probe“ war, so kann Ostern den Beginn von neuem Auferstehungsleben markieren. Ich mag die Osterfeuer, die in vielen Kirchen Tradition sind. Da wird – kurz vor Mitternacht ein großes Feuer angezündet. Für mich eine Möglichkeit, alte Dinge, die ich nicht in das neue Auferstehungsleben nehmen möchte, symbolisch zu verbrennen.
Ich mag auch frühmorgendliche Ostergottesdienste, die im Dunkeln beginnen und im hellen Licht enden – mit anschließendem herrlichen Brunch, bei dem man all die Dinge wieder essen kann, auf die man vielleicht eine Weile verzichtet hat. Nutella pur. Oder herrlich süßen Kuchen. In dem Wissen: Ich habe die Freiheit es zu genießen – und ich habe die Freiheit, darauf zu verzichten.

Deine Fastenzeit ganz konkret. Jetzt bist du dran!
Überlege
1.    Von welchem Ess- Denk- oder Verhaltensmuster möchte ich mir eine Pause gönnen? (Wenn dir nichts einfällt, kannst du ja Menschen fragen, die dir nahe stehen, was sie dir empfehlen würden.)
2.    Wann und wo / in welchen Situationen will ich mir diese Pause gönnen? Wie lange?
3.    Was will ich dann stattdessen tun (anstelle des bisherigen Verhaltens)?

Einige Beispiele
•    Ich will eine Woche lang auf der Arbeit eine Pause davon machen, in der Kaffeepause über andere Kollegen zu lästern. Stattdessen will ich, wenn andere über Leute herziehen, nicht einstimmen, sondern Gegenfragen stellen, z. B. „Was macht dich so sicher, dass es so ist?“
•    Ich will die nächsten 40 Tage in meiner Wohnung abends ab 18.00 Uhr Pause von Süßigkeiten / Knabbersachen machen. Stattdessen will ich eine große Flasche Mineralwasser trinken und / oder ein paar Gemüsesticks essen.
•    Ich will 40 Tage Pause vom Zweifeln machen. Stattdessen will ich Bibelstellen und Geschichten lesen, die mich an Gottes Macht erinnern.
•    Ich will im Umgang mit Freunden und Freundinnen zwei Wochen lang Pause machen vom „mich verpflichtet fühlen“. Stattdessen will ich bei indirekt geäußerten Anfragen (z. B. durch Klagen) nicht gleich reagieren. Ich werde stattdessen konkret nachfragen: Hast du eine Erwartung an mich? Und vor allem will ich überlegen: Was kann und möchte ich ihr / ihm aus freien Stücken geben?

Mein Tipp: Sei so konkret wie möglich. Das hilft. Und nimm dir nur ein oder zwei Verhaltensmuster auf einmal vor. Das reicht.
Die Ideen zur Umsetzung stammen aus dem von mir entwickelten Online-Kurs LEA – Leichtigkeit, Energie und Ausstrahlung, der hilft, körperliche und seelischen Ballast loszuwerden und neue Energie zu gewinnen. www.lea-training.de

Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift Joyce 2014/1. Mit freundlicher Genehmigung.

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